SelbstMitleid
Mitleid ist eine Variation der Eigenliebe: Wir empfinden das Leid des anderen nach, weil er oder sie uns ähnlich ist und weil unsere Fantasie uns sagt, dass wir selber uns an ihrer Stelle befinden könnten. Wenn wir über die Opfer einer Naturkatastrophe trauern, dann trauern wir in gewisser Weise über uns selbst. Das Bild einer Person, die ihre Kinder verloren hat, rührt uns nicht, weil diese fremde Person uns etwas bedeutet, sondern deshalb, weil wir uns im Moment des Betrachtens für Sekunden den Verlust der eigenen Kinder oder eines anderen geliebten Menschen vorstellen.
Mitleid ist also nicht selbstlos, kein ganz so edles Gefühl. Zurzeit werden von den Fernsehsendern immer neue Spendenrekorde gemeldet, zurzeit sind wir auf unser Mitleid verdammt stolz.
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Wer das selektive Empfinden kritisiert, sollte sich auch darüber empören, dass uns der Tod der Eltern stärker bewegt als der Tod anderer Leute. Es ist richtig, Gleichheit vor dem Gesetz zu verlangen, aber eine Gleichheit vor dem Gefühl kann es nicht geben, es sei denn, man verwandelt Menschen in Computer.
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Für die Fähigkeit des Fernsehens, mit Hilfe seiner Bilder für kurze Zeit gewaltige Gefühle zu mobilisieren, ist vor einiger Zeit die Bedeutung eines Fremdwortes ironisch umgewandelt worden: Telepathie. Im Sinne der Telepathie besteht kein Widerspruch darin, einerseits großzügig für die Flutopfer zu spenden und sich andererseits kein bisschen um womöglich existentielle Probleme des Nachbarn zu kümmern. Es sei denn, über den Nachbarn käme ein Bericht in den „Tagesthemen“.
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Es gibt nicht beliebig viel Gefühl in uns, genauso wenig, wie es beliebig viel Baumwolle oder Eisen auf der Welt gibt. Das Mitleid, das wir an der einen Stelle großzügig ausgeben, haben wir an der anderen Stelle eben nicht mehr. Daran ist nichts zu kritisieren, es ist unvermeidlich. Das Wissen um diese Tatsache sollte uns aber dagegen immun machen, uns an unserer Hilfs- und Spendenbereitschaft zu berauschen. Die Eigenliebe ist immer noch unsere mächtigste Triebfeder.
Harald Martenstein "Ein Versuch über die Empathie" im Tagesspiegel vom 06.01.05 www.tagesspiegel.de
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Angeschissen sind demnach all' jene Opfer, die aus einer Ursache zu Opfern geworden sind, welche die allermeisten Menschen oder jedenfalls jene, die helfen könnten, für sich selbst nicht für möglich halten - ob zu recht oder nicht. So werden naturgemäss zB vergewaltigte Frauen mehr Mitleid von Geschlechtsgenossinnen bekommen, als von Männern, einfach weil Männer nicht glauben, auch solch ein VergewaltigungsOpfer sein zu können.
Expertinnen, die sich mit Vergewaltigungen beschäftigen, betonen jedoch immer wieder, es ginge dabei primär nicht um Sexualität, sondern um MACHT. Wenn das tatsächlich so ist, warum sind dann die diversen institutionellen Hilfen für GewaltOpfer eben nur für vergewaltigte Frauen da? Ich finde das diskriminierend. Denn Tatsache ist: Es werden mehr Männer als Frauen Opfer von Gewalt!! Eigentlich müssten diese Hilfen ganz geschlechtsneutral für Opfer körperlicher Gewalt da sein - also sowohl für vergewaltigte Frauen als auch für männliche GewaltOpfer. Die Linien der Macht verlaufen nicht zwischen den Geschlechtern, sondern zwischen Oben und unten.
Aber hier waschen FeministinnenHände die Hände mächtiger Männer - zu Lasten und auf Kosten auch männlicher Opfer. Scheiss Feminismus.