Kleine Fehler zugeben, um grosse zu verbergen
Eine Bekenntniswelle, ähnlich wie vor einigen Monaten weinende, dopende Radrennfahrer, schwappt nun von Ärzteseite durch die Medien. Man gibt verjährte echte oder Beinahe-Fehler zu. Für mehr Patientensicherheit.
Bisher wurde von Ärzten immer behauptet, sie würden Fehler durchaus eingestehen wollen, das werde ihnen aber von den Versicherungen verwehrt. Nun heisst es plötzlich, es gebe eine Halbgott-Kultur im Krankenhaus, die eigenen Fehler selbst Kollegen gegenüber zu verschweigen, also der Arzt-Stolz lässt es nicht zu, dass Fehler in der Schuld des Arztes liegen.
Unnötige also überflüssige Operationen sollen mit der Initiative Patientensicherheit nicht verhindert werden, Patienten sollen nur nicht an einer unnötigen Operation in der Klinik sterben. Verbessern will man also eigentlich eine Selbstverständlichkeit, nämlich den sicheren Klinikaufenthalt. Andernfalls könnte rauskommen, dass Operationen medizinisch unnötig waren.
Denn was nützt die handwerklich gut gemachte Amputation der weiblichen Brust oder eines anderen Körperteils, mit freundlichem Personal und gutem Klinikessen, wenn die Operation medizinisch unnötig war. Und was ist eine gute Dialyse oder eine gut gemachte Nierentransplantation noch Wert, wenn die gleichen Patienten bei besser qualifizierten und weniger geldfixierten niedergelassenen Ärzten weiterhin ihr eigenes (wieder halbwegs) gesundes Organ behalten könnten.
Auch soll mit der Aktion nicht erreicht werden, dass fachlich oder charakterlich ungeeignete Ärzte den Beruf verlassen. Als eine Patientenvertreterin neulich in einer NDR-TV-Sendung wagte darauf hinzuweisen, dass nicht jeder Arzt auch ein guter Arzt ist, nur weil er relativ offen mit selbsterkannten Fehlern umgeht, wurde sie von der Moderatorin gestoppt, man wolle ja nun nicht wieder Ärzteschelte betreiben. Es werden darum handwerklich, medizinisch schlecht angelegte Operationen nicht verhindert, solange Patienten das nicht bemerken und nachweisen können. Denn wer kritisiert einen schlechten Arzt, der zu keiner Selbstkritik fähig ist, wenn nicht Patienten oder bessere Kollegen?
Manche Ärzte scheinen auch zu glauben, ein Bekenntnis samt Entschuldigung inklusive Blumenstrauss und Rückzahlung des Krankenhaustagegeldes reiche aus und mache die Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz überflüssig.
Was für die ganze Aktion gilt, nämlich die kleinen, relativ leicht abstellbaren Fehler öffentlich machen, um die grossen Fehler des Systems nicht antasten zu müssen, könnte auch für manche Geständnisse zutreffen: Man gibt kleine Fehler zu, um grosse Fehler zu verbergen.
Es heisst nun gerne: "Ärzte sind auch nur Menschen." Wer hätte das gedacht.
Innerhalb von Kliniken herrschen also genauso menschliche Verhältnisse wie ausserhalb. Ausserhalb von Kliniken gibt es aber nicht nur Unfälle, sondern es werden Menschen auch im Affekt und sogar durch Vorsatz schwer verletzt oder gar umgebracht.
Womöglich haben wir in Deutschland eine so niedrige statistische Mordrate, weil vielleicht die meisten Morde in der fast rechtfreien Parallelgesellschaft Krankenhaus mit seinen Tabu-Schutzzonen hinter Mauern begangen werden und darum unentdeckt bleiben? Bekanntlich galt die Zeit des Dritten Reichs als eine extrem sichere Zeit. Innerhalb von Kliniken, Anstalten und Lagern herrschte das Gegenteil.
Wo bleibt die öffentliche Auseinandersetzung, dass Ärzte im Dunkel des grossen Schweigetabus über Fehler in der Medizin nicht nur versehentlich Patienten schaden, sondern dass Patienten auch vorsätzlich geschädigt oder umgebracht werden - im Krankenhaus. Wenn es als Tabu gilt, dass Ärzte überhaupt Fehler machen, was ist dann der Gedanke, dass Schädigungen mit Absicht begangen werden? Schliesslich sind Ärzte auch nur Menschen.