"Lasst mich noch mal auf das Thema Mord-Selbstmord kommen. Ihr habt doch gehört, dass sich vor einige Zeit ein Staatsanwalt umgebracht hat. An einem Heizkörper in seinem Büro erhängt. Unmöglich Stellung für einen Suizid! Aber da gab's ja den Abschiedsbrief. Es war seine Schrift, zweifellos! Aber normalerweise schrieb er eine schreckliche Klaue. Nun plötzlich dieser Abschiedsbrief, fein-säuberlich, gestochen scharf - als wäre er in seine Kindheit zurückgefallen. Buchstabe für Buchstabe lesbar. Für mich der Beweis: Der Brief wurde unter Drohungen diktiert - die verstellte, kindlich penible Schrift eine letzte Botschaft, ein Hilferuf: Seht - ich schreibe unter Zwang - glaubt dem Inhalt nicht - ihr seht doch, das bin nicht ich! Ich kenne den Kollegen, der den Totenschein ausgefüllt hat: "Glaubst du wirklich an diesen Selbstmord?" Achselzucken. Unsere Polizei ist an echter Aufklärung oftmals gar nicht interessiert. Zuviel Schreibkram und zeitraubende Arbeit. Zeugen - wie lästig! Für das bisschen Gehalt und fehlende Anerkennung ... Nur nicht mit den Juristen einlassen!"
"Mord und Totschlag werden in unserem Land weniger bestraft als Steuerhinterziehung und Millionenraub."
Dabei hätte ich noch ein grosses Problem auf dem Herzen, dass ich gern unter vier Augen angesprochen hätte. Die Geschichte meiner verschwundenen Patientin. Wahrscheinlich ist sie tot, aber wer hat sie verschwinden lassen - und warum? Ein heikles Thema.
Aus dem Buch von Doktor Med - Patient: Nebensache. Aus dem Tagebuch eines Kassenarztes
Am Ende des Buches: Ein kleiner Auszug nur aus meinem Leben. Ein heftiges,nervöses Gekritzel, nicht mehr. Eigentlich nur, um ein Problem zu bearbeiten, einen eigenen Gewissenskonflikt zu lösen: Eine meiner Patientinnen ist verschwunden. Aus der Praxis verschwunden - und meine Helferinnen behaupten allen Ernstes, sie sei nie hier gewesen. Es hätte sie nie gegeben.
Eine merkwürdige, aufregende Geschichte, über die ich vielleicht später berichten werde. Wenn ich den Mut finde.