Medizinischer Ungeist von Guantanamo auch in Deutschland
Im Laufe der nächsten Tage kam ich mit ihm ein wenig ins Gespräch. Ebenso wie uns in Kandahar hatte man ihn grosser Kälte ausgesetzt. So hatte er wohl die Erfrierungen an den Füssen bekommen. Daraufhin haben ihm die amerikanischen Ärzte im Militärlazarett beide Beine amputiert.
Er war nicht der einzige, dem ein Körperteil entfernt worden war. Ich habe es in Guantanamo öfter erlebt. Ich weiss von einem Gefangenen, der über Zahnschmerzen klagte. Sie brachten ihn zum Zahnarzt, der ihm aber nicht nur den kranken Zahn, sondern auch acht gesunde Zähne zog. Ich kannte einen Mann, der in seinem früheren Leben Kapitän gewesen war. Er konnte seinen kleinen Finger nicht mehr bewegen, weil er erfroren war. Alle anderen Finger waren noch in Ordnung. Sie erklärten, sie würden ihm den Finger abnehmen. Er war einverstanden. Dann brachten sie ihn in die Krankenstation, und als er zurückkehrte hatte er nur noch zwei Finger. Sie hatten bis auf seine Daumen alle Finger abgeschnitten.
Ich hatte oft Zahnschmerzen und viele andere gesundheitliche Probleme in all den Jahren. Aber ich wollte um keinen Preis in die Krankenstation gebracht werden. Ich wollte meine Zähne, Finger und Beine behalten.
Aus: Fünf Jahre meines Lebens. Ein Bericht aus Guantanamo. Von Murat Kurnaz
Es liegt nahe, dass Gefangene eine interessante Wissensquelle sein können. Der raffiniert-gewaltsame Zugang zu diesem Wissen scheint mit medizinischen Eingriffen am Wirksamsten zu sein. In dem Zusammenhang hat wohl jeder schon mal was von sog. Wahrheitsdrogen gehört. Womöglich haben diese Drogen aber ihre engen Grenzen, sodass es ein Interesse an anderen medizinschen Massnahmen gibt, um an das Wissen in den Köpfen anderer heranzukommen. Vielleicht will man aber auch die Abschöpfung von Wissen verbinden mit der Vernichtung des Gegners.
Als normaler Zivilist kann man sich vermutlich nicht in die Psyche und Gedankenwelt von Militärs und noch weniger in die von Militär-Ärzten hineinversetzen. Also der Weg der Erkenntnis führt nicht über die Frage, was Militärs in ihren Köpfen ausbrüten könnten, denn so würde man kaum die o.g. Praktiken für wahrscheinlich halten. Vielmehr nimmt man Tatsachen wahr, und versucht daraus Schlüsse zu ziehen.
Ein ehemaliger Bundeswehr-Arzt in Bayern hat mittels chirurgischer Eingriffe mindestens einem Zivilisten heimlich gesunde Organteile und wichtige Körpergewebe entnommen. Das bewirkt die langsame Vernichtung des Opfers, und dass es seine Persönlichkeitsmerkmale, Lebensprinzipien und -strategien und sein privates Wissen nahezu ungefiltert offenbart. Mittels paramilitärischer (polizeilich, medizinisch, geheimdienstlich, juristisch, politisch) und ziviler Netzwerke wird das Opfer unbemerkt total überwacht und seine Lebensäusserungen zentral erfasst und ausgewertet.
Was deutsche Ärzte und ihre Auftraggeber und Nutzniesser während der Nazizeit, und amerikanische Ärzte in jüngster Zeit mit Lager-Insassen machten, weil die Opfer nicht weglaufen können, machen ihre medizinischen Nachfolger heute mit Netzwerken. Was seinerzeit Mauer und Lagerzaun waren, sind heute ärztlich verursachte, gesundheitliche Einschränkungen und Abhängigkeiten der Opfer, und deren Umhegung mit diversen informationellen und repressiven Netzwerken. Eine riesige Maschine, an der neben Medizin, Justiz, Polizei, auch private und öffentlich-rechtliche Medien (Staatsfunk) und die Politik beteiligt sind. Also die sog. Profis der Nation.