China sperrte unliebsamen Blogger in die Psychiatrie - aber auch hier Zunahme von Zwangseinweisungen
In China wurde im August ein Blogger in die Psychiatrie eingesperrt, wohl weil er dem System zu kritisch wurde. Aber auch hier zu Lande gibt es eine drastische Zunahme von Zwangseinweisungen, ohne dass dafür medizinische Gründe erkennbar sind.
Gesetzliche Anforderungen erleichtern den Freiheitsentzug in den vergangenen Jahren immer mehr. Die Schwelle für PsychKG-Einweisungen ist Ende der 90er-Jahre in vielen Bundesländern gesetzlich abgesenkt worden durch verringerte Anforderungen an ärztliche Gutachten. Das Attest eines Arztes reicht aus, vor 1997 mussten immer zwei Ärzte sich beraten und die Notwendigkeit prüfen. Die manchmal fürsorglich klingenden Gesetzestexte ermöglichen PsychKG-Unterbringungen auch auf offenen Stationen, was gut klingt, aber widersprüchlich und teilweise sogar unverständlich ist bei der rechtlichen Voraussetzung „gegenwärtiger erheblicher Gefahr“. Beim 1992 neu gefassten Betreuungsrecht ist es ähnlich. Es klingt fürsorglich und bietet differenzierte Hilfen an, aber fördert auch Freiheitsentzug, der oft relativ still und von der Öffentlichkeit unbemerkt vonstatten geht.
Wo früher individuelle Freiheitsrechte dominierten, werden allgemeine Sicherheitsinteressen in den letzten Jahren in der öffentlichen Diskussion und in der Gesetzgebung immer wichtiger.
Telefonüberwachungen von Handys haben sich in einem halben Jahrzehnt vervierfacht, diskutiert wird die Videoerfassung von Autokennzeichen im Straßenverkehr. „Das Tor zum Überwachungsstaat wird sehr weit aufgestoßen“, kommentierte ein Jurist. Gefängnisse sind übervoll, vorbeugende Freiheitseinschränkung zur „Gefahrenabwehr“ ist möglich, Entlassungen von Straftätern und psychisch Kranken werden durch gesetzlich erhöhte Schwellen verzögert, Zeiten in Unfreiheit verlängern sich.
Sicherheit auf Kosten der individuellen Rechte
Da ist es folgerichtig, dass Ende 2003 der Bundesrat im Entwurf des Betreuungsrechtsänderungsgesetzes die hohen Kosten sprunghaft gestiegener Betreuungszahlen zwar beklagt, aber nur die Gebühren senken, die Kontrolle auf (kostenlose) Hilfe von Familienangehörigen verlagern und im Übrigen die ambulante Zwangsbehandlung einführen will, obwohl das der Bundesgerichtshof kurz zuvor als unrechtsmäßig abgelehnt hatte.
Diese Rechtsänderungen erinnern an Regelungen totalitärer Staaten, die die absolute Sicherheit des Staates und seiner Einrichtungen auf Kosten der Rechte des Individuums zum Ziel haben, Letztere also dem vermeintlichen Staatsinteresse weitgehend unterordneten. Oder wird nur in Zeiten politischer und sozio-ökonomischer Verunsicherung nach mehr Sicherheit gesucht und auf anderer Ebene agiert – zum Beispiel durch mehr Freiheitsentzug bei bestimmten Menschen mit abweichendem Verhalten? Das ist unbegründet und der falsche Weg.
Quelle: Deutsches Ärzteblatt 2004 Heft 42
Das augenscheinlich kritische Buch aus einer dortigen Linkliste Ordnungsmacht Psychiatrie? Psychiatrische Zwangseinweisungen als soziale Kontrolle, von Georg Bruns scheint auf dem Markt nicht mehr verfügbar. Wieder so ein Fall, dass Kritik beseitigt wird?