Samstag, April 03, 2004

Neandertaler

Eine Bekannte meinte nach Monate langem Durchlaufen diverser medizinischer Diagnose-Parcours, wobei einige Befunde erhoben und andere Annahmen verworfen wurden, zu mir, die Ärzte seien doch Neandertaler. Spontan hatte ich zugestimmt - aber dann kamen mir doch Zweifel. Ich denke, so ein Urteil haben sie nicht verdient - die Neandertaler.

Immer werden diese wilden Hominiden als dumpf-tumb, grob und gewalttätig dargestellt. Aber meiner Wahrnehmung nach, sind Angehörige zeitgenössischer Naturvölker aufmerksame, gewitzte und dennoch soziale Leute, angepasst an ihre Umwelterfordernisse, die auch mit Mangelsituationen gut zurecht kommen, was ein gewisses Masz an Intelligenz erfordert - und das wird für alle Lebewesen - ob Mensch ob Tier - gelten, die wild leb(t)en. Neandertaler mit einer seit Generationen in üppiger Vollkasskomentalität sozialierten Geld- und Macht-Elite gleich zu setzen, ist eine Beleidigung für jeden echten Urzeithominiden. Obwohl - was gewisse überalterte Strukturen und Verhaltensmuster angeht, da hat sie sicher recht.

Jedenfalls hatte mir die Bekannte kürzlich ein paar ihrer Diagnose-Befunde übersandt. Man ergeht sich dort in allerlei Vermutungen und Abhandlungen, findet die eine oder andere Abweichung von Normwerten, rätselt aber sowohl über Ursache und Einschätzung der Situation - mit dem Ergebnis, dass man erstmal abwartet - vermutlich, dass es ihr noch schlechter geht. Auch 'ne Art, endlich zu eindeutigen Ergebnissen zu kommen, und dann mehr aus dem Vollen schöpfen zu können. Ausser einiges an Spesen für die SoliGemeinschaft, bisher also nichts gewesen. Die Bekannte ist zu einer med. Behandlung ins nahe Ausland gefahren und will das auch weiterhin tun.

Typisch auch, dass der ganze Sermon endet mit drei Unterschriften - wobei keiner der UnterzeichnerInnen seinen/ihren Vornamen nennt, der zweite für den ersten in Vertretung mit unterschrieben hat, und wenn auf dem "A" bei "ÄiP" keine zwei Pünktchen wären, dann wäre noch nichtmal klar, dass es sich bei "Kowalski" (Name v.d.R. geändert) nicht um einen Arzt im Praktikum handelt.

Das Subjekt der Untersuchung, wird komplett erfasst: Die Personalien, vermutlich bei der Anmeldung die private Telefonnummer und der Beruf, bei der Untersuchung nach Hobbys, die Patientin wird mit den typischen medizinischen Parametern dokumentiert - quasi eine Art biologisch-individueller Fingerabdruck genommen/erstellt - aber die Untersucher und Bewerter zeichnen ihre wichtigen Elaborate nichtmal mit ihrem Vornamen gegen. Eine Person mit Anti-Anonymitäts-Neurose würde vermutlich einen Anfall kriegen. Wo bleiben Glasnost und Perestroika im hiesigen Medizinwesen?