Samstag, August 30, 2003

Gute Ärzte

gibt es natürlich auch - die menschlich-charakterlich und fachlich ihrer schwierigen Aufgabe gewachsen sind und einen guten Job machen.
Die wissen, dass sie als Arzt eine privilegierte Position innehaben:
Einen der krisensichersten Berufe, oft Spitzeneinkommer, Systemträger, Inhaber von Herrschaftswissen, Einblick in die privatesten, intimsten Details von Teilen der Bevölkerung.
Die Gesellschaft/der Staat ermöglicht dem Medizinstudenten eines der längsten Studienzeiten überhaupt und bekanntlich zählen Studienjahre mit zu den schönsten Lebensjahren.

Das Wissen und die Macht der Ärzte beruht auf vielen Bedingungen. Viele Nicht-Ärzte haben dazu beigetragen, dass ein Mensch schliesslich Arzt werden kann: Das gesamte Medizin-Wissen seitdem dies dokumentiert wird und dessen Datenträger bewahrt und geschützt werden, viele Kranke und Tote, die als Wissensquelle herhalten mussten, Ingenieure und Techniker, welche die moderne Diagnose- und Therarpiegeräte entwickeln, der sog. kleine Mann, die kleine Frau, von deren Steuern das lange Medizinstudium bezahlt wird. Und so weiter. Und last but not least: "Tust du mir oder meiner Familie schlechtes, dann soll es auch dir oder deiner Familie nicht mehr gut gehn."
Ich denke, jedem Arzt ist eine Verpflichtung erwachsen, seine Aufgabe nicht als persönliche gönnerhafte Entscheidung abhängig von Symphatie oder Antiphatie, über Gesundheit oder Siechtumg, Leben oder Tod zu treffen, sondern als Aufgabe im Dienste zuerst am einzelnen Patienten und dann der Gesellschaft gegenüber - in Demut und Respekt vor seiner ihm gewährten Macht. Also seinen Beruf nicht als persönliches Machtinstrument zu sehen und damit zu missbrauchen, sondern sachlich, quasi als fachkompetentes Medium, um Gesundheit und Selbstbestimmung in Richtung des Patienten zu transportieren und zu verwirklichen.

Die Gesellschaft gewährt die Installation und Unterhaltung eine der komplexesten und mächtigsten Infrastrukturen die es gibt - nämlich die der Mediziner (ich sehe diese bereits als einen Staat im Staate, eine Iatrokratie), finanziert von der großen Masse nicht-ärztlicher Bürger.
Wenn man schon keine Sensibilität für die Würde jedes einzelnen Menschen aufbringen kann, und mit dem Patienten ruppig umgeht (sowas kann ein temporärer Patient eine Weile verkraften, geht vorüber), dann ist aber die absolute Grenze, der Respekt und die Achtung vor seiner körperlichen und seelischen Integrität (also die Verhinderung irreversibler Schäden). Das sind nicht nur die ersten Maximen unseres Grundgesetzes, das geht aus dem kantschen kategorischen Imperativ hervor - und es ist eine Quintessenz als kleinster gemeinsamer Nenner, als Ersatz für archaische Gesetze der Selbstjustiz. Man kann nicht solche elementaren archaischen Grundgesetze durch neue zivile Gesetze ersetzen, die dann nicht bewahrt, sondern zu Staub zerbröselt werden.
Selbst ein ärztliches Credo aus dem Eid des Hippokrates / Ärztegelöbnis lautet, "Wenn der Arzt schon nicht nützen kann (oder meinetwegen auch nicht will), dann darf er dem Patienten wenigstens nicht schaden". Meine persönliche Erfahrung ist, es scheren sich viel zu viele Ärzte um gar keines der o.g. Regeln, Imperative, Gesetze, - und gehen über sprichwörtliche Leichen.

Zum guten Arzt gehört m.E. auch das Menschen- resp. Gesellschaftsbild, dass diese Gesellschaft sich aus einzelnen Individuen bilden soll - nicht umgekehrt, das Individuum nach einem Gesellschaftsbild zurecht geschnitzt. Respektive wenn der einzelne Mensch nach einem übergeordneten Maßstab von aussen geformt werden darf und soll (Bildung, Erziehung, Justiz, Medizin) - dann hat dieser Maßstab das Grundgesetz, resp. die universalen Menschenrechte zu sein - jedoch kein religiöses Dogma und erst Recht keine persönliche charakterliche Deformation eines Machtinhabers (das Vorletzte sage ich besonders in Richtung katholische Mediziner).

Nur was nützt das, wenn die guten Ärzte sich wegducken, sobald einem kriminellen oder "nur" pfuschenden Standes-Kollegen sein übles Handwerk gelegt werden soll? Gar nichts! Offenbar sind diese guten Ärzte hoffnunglos in der Minderzahl - zu schwach, um ihren Kopf aus der Masse übler Kollegen heraus zu heben. Und zuwenig Rückendeckung aus Politik und Justiz. Also noch ein guter Grund, den Patientenschutz zu stärken. Weil man damit auch die Position der guten Ärzte stärken würde. Diese sollten sich aber auch verstärkt selbst in die richtige Richtung bewegen.

Dienstag, August 26, 2003

Mörderisch

In einem kleinen Krankenhaus, ein oder zwei Tage nach einer dubiosen Op. Du fühlst dich fertig und allein - und du bist es auch. Du stehst im Türrahmen des StationsSchwesternZimmers, und hinten steht die Ärztin, die dich vermutlich mit-operiert hat - auch dieser irgendwie nicht zu klärende Umstand trägt zu deiner Verzweiflung bei - und du versuchst mit dieser Frau ein informatives Gespräch zustande zu bekommen - und du spürst eine unglaubliche, noch niemals zuvor von einem Menschen ausgehende Kälte . . . . . . und hast plötzlich das Gefühl - so ähnlich muss es sein, wenn ein Mensch seinem Mörder begegnet - ausgeliefert sein - und zu wissen - diese kalte Seele erreichst du nicht.
Sowas kann man sich verpacken, wenn man gesund ist und von solchen Leuten unabhängig - Obacht - und man hat die Situation im Griff. Aber die Gewissheit, du bist diesem Machtmonster ausgeliefert und du warst kürzlich in Vollnarkose unter deren Messer - und das wurde auch bis zum Exzess ausgenutzt - das lässt dich fast ohnmächtig werden. Deine Welt geht unter. Dein Stern verlischt. Lebendig tot. Nach getanem blutigem Handwerk, wie ein ausgeweidetes Versuchstier losgelassen, von harmlos aussehenden Menschen-Schlachtern im weissen Arzt-Kittel.


Klingt irre - vermutlich. Aber wie soll man sprechen, wenn einen das Schicksal in eine andere, in eine Horror-Realität, in einen realen Albtraum katapultiert, aus dem es vermutlich kein Erwachen geben kann, bis zum Schluss. Und du fragst dich. Wie kann es sein, dass solche humanoiden Charakterschweine als Ärzte einfach agieren und weiter machen können. Wo ist der institutionelle Beistand der demokratischen Gesellschaft?

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Diese merkwürdige Verschiebung von Wahrnehmung zwischen üblicher Welt und Extremwelt hatte ich erstmals als Ahnung mitbekommen, als Aussenstehender, bei der Schilderung eines Sachverhalts, den ein Überlebender des Warschauer Ghetto mal vor zig Jahren in der NDR-TalkShow erzählt hat. Ich mache mich beileibe nicht anheischig, mein Trauma und meine Situation mit der von Naziverfolgten als von gleicher Dimension zu sehen. Ich habe das so in Erinnerung:
Er hätte zusammen mit einem Kumpel Schächte und Tunnel unterm Ghetto, hin zur Kanalisation gegraben und dort seien sie abgezirkelte Richtungen und abgezählte Schritte genügend weit aus dem Areal des kollabierenden Ghettos unterirdisch gegangen, mit dem Auftrag, Hilfe zu holen, da das Ghetto vor dem Exitus stand. Er sei dann irgendwann einen Gullischacht nach oben gestiegen und als er den Deckel hob und ans Licht kroch, auf die Strasse, das Ghetto nur wenige Straßenzüge entfernt - da sei er mitten im üppigen Großstadttrubel gestanden, die Leute normal beim Einkaufen, wie man das so kennt. Und niemand habe sich um ihn geschert, man sei ihm einfach aus dem Weg gegangen, habe ihn ignoriert. Ich weiss es so genau nicht mehr, weil die Sendung schon so lange her ist. Aber ich glaube, was mich damals überrascht hatte, war, wie dicht das Grauen, das wirkliche Grauen in jeder Beziehung - und die sogenannte Normalität nebeneinander existieren können, nur wenige Häuserecken voneinander getrennt - ohne Einfluss aufeinander. Aus den Augen, aus dem Sinn? Ich hatte damals gedacht, der Mann aus dem Ghetto müsse doch als Bote aus einer anderen Welt neugierig empfangen werden, die Leute begierig, endlich aus erster Hand zu erfahren, was sich hinter den Mauern des Ghetto zuträgt. Aber nein. Nix. Null.
Also ich hatte seinerzeit noch geglaubt, alles sei eine Frage der Information. Die Bevölkerung habe nichts gegen die Nazidiktatur unternommen, weil sie zu wenig wussten. Also Informationsmangel. Durch die Schilderungen des Ghettoüberlebenden habe ich aber den ganz anderen Eindruck bekommen, die Leute wollen es gar nicht wissen. Oder sie wissen es eigentlich schon, aber es macht ihnen nichts aus, es zu belassen, wie es ist.

Vielleicht ist die Wahrheit eine Mischung aus beidem: Es gibt womöglich Leute, die handeln entsprechend ihrem Wissensstand - bei denen ist alles eine Frage der Kenntniss, der Information - und die sind so stark mit Akitivität gemäß ihrem Wissen beschäftigt, dass sie kaum neue Informationen dazu bekommen. Wieder andere, die bekommen sehr viel mit, und sind permanente Informationssammler - müssen darum sortieren, wonach sie handeln, und was sie lieber verdrängen, ausblenden und liegen lassen. In unserer heutigen Informationsgesellschaft kann es eigentlich kein nicht-wissen-können mehr geben. Wohl alles nur eine Frage des Willens, der Zeit, der Persönlichkeitsstruktur.

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Ich weiss nicht: Wir als Opfer von pfuschenden, sadistischen, verbrecherischen Ärzten sind offenbar irgendwie ein anderer Menschentyp. Opfermentalität. Zu geduldig - too patient. Vom Täterblick ins Beuteschema passend. Oder einfach eiskalt in der Sandbox Abhängigkeit vom Medizinbetrieb laufen gelassen, bis man vor Müdigkeit irgend einem Schwein vor die Füsse fällt. Mit uns kann mans ja machen. Keine Gegenwehr. Anpassung an jede Situation. Immer konziliant, diplomatisch. Leicht zu beeindrucken. Immer für einen Appell an die Einsicht zugänglich. Die idealen Demokratie-Trottel (also die noch dran glauben).

Samstag, August 23, 2003

Grenzen für Ärzte

Meine Antwort zu Spenden-Aktionen und -Aufrufen für "Ärzte-ohne-Grenzen" (trifft sicher auf viele andere Organisationen auch zu):

Wenn jemand Grenzen braucht, dann Ärzte. Das sage ich als einer, der die schlimmsten Erfahrungen mit Ärzten gemacht hat. Und das würden bestimmt auch heute noch zigtausende Opfer von Nazi-Ärzten sagen, wenn Ärzte sie am Leben oder bei Gesundheit gelassen hätten.
Aber auch wenn man sich einfach nur das Recht nimmt, eine akzeptable Organisation zu unterstützen, frage ich mal ganz bescheiden an (und auch noch mal direkt an ÄoG dann), wo deren Engagement hier im Lande für ein besseres GesundheitsSystem ist?
1. In deren Satzung §2 Abs.2 heisst es: "Zweck des Vereins ist die Förderung des öffentlichen Gesundheitswesens." - Ein solches Bemühen kann ich bei Ärzte-ohne-Grenzen hier nicht erkennen!
2. Von uns allen wird erwartet, über den eigenen Tellerrand hinaus zu blicken und sich für die Belange unserer Gesellschaft zu engagieren. Eine Organisation, die sich hier vor Ort dünne macht, nur Spenden kassiert, finde ich unkorrekt. Schlecht oder unbehandelte Kranke sind des Mitgefühls und Engagementes wert - überall.
Greenpeace macht richtiges Engagement vor! Ob Ökoverbrechen irgendwo in der Welt oder HIER - sie prangern an und bringen Verbesserungs-Aktionen wo es nötig ist.
Vermutlich gibt es hier zigtausende spitzenkassierende med. Profs., Chef- & Oberärzte. Warum fordern ÄoG nicht lieber diese Geld-Ärzte auf, regelmäßig einen Teil ihrer Gage zu spenden? Monatlich zB 100 Euro von tausenden Chefärzten. Machen die nicht freiwillig? Diese Spitzenkassierer öffentlich als solche zu nennen (nicht namentlich persönlich) und die Forderung mit genügend Unterschriften darunter - das dürfte Wirkung zeigen. Aber da haben ÄoG offenbar ihre (allzu) engen Grenzen - oder sind eben doch weniger am Patienten orientiert, als an der Elite-Pflege ihres Berufsstandes.
Warum unterstützt ihr Spendenbereiten nicht den Patientenschutz? Der ist schwach, hat keine Lobby und kann Hilfe wirklich gut gebrauchen. Sich immer auf die Seite der weissen, sauberen Elite, der Siegertypen, der durchsetzungsstarken spitzen EllenbogenNutzerInnen zu stellen, finde ich so feige und lemmingehaft, wenn nicht gar faschistoid. Es gehört Eigenständigkeit und Selbstvertrauen dazu, die schwache Seite zu unterstützen - aber das ist die Herausforderung! Nur tote Fische "schwimmen" mit dem Strom.

Donnerstag, August 21, 2003

TABU-Thema: Fehlbarkeit der Ärzte

PANORAMA in der ARD: Häufigste un-natürliche Todesursache in Deutschland sind weder Mord und Totschlag, noch Verkehrsunfälle - sondern wahrscheinlich Pfusch bei der Vergabe von Arzneimitteln. Jedes Jahr etwa 30 000 Tote.
Bei der HÄLFTE aller intravenös verabreichten Arzneimittel passieren Fehler!!
Haben Forderungen zur Verbesserung der Zustände etwas bewirkt?
Bislang vergebens, denn über Fehler wird in der Medizin kaum gesprochen, selbst wenn sie tödlich sind.
Fehlbarkeit der Ärzte - immer noch ein TABUthema in Deutschland.