Samstag, September 25, 2004

Je mehr, desto besser - Wie erfolgreich ist die Masse?

James Surowiecki, Journalist beim "New Yorker" Magazin, ist zur Ehrenrettung der Menge angetreten.
Bei seinen Recherchen sei ihm auf einmal klargeworden, dass Gruppen unter den richtigen Voraussetzungen, wenn sie gut gemischt und ihre Mitglieder unabhängig sind, bessere Entscheidungen treffen können als einzelne, egal wie klug die sind.

Niemand möchte auf Spezialisten verzichten, wenn es ums Fliegen oder um die eigene Gesundheit geht. Doch selbst bei Ärzten wäre manchmal mehr tatsächlich mehr. "Wenn man Ärzte unabhängig von einander um die Diagnose von zehn Röntgenaufnahmen bittet", so Surowiecki, "kann man zum einen feststellen: Die Ärzte widersprechen sich, sie kommen oft zu verschiedenen Ergebnissen. Erschreckender aber ist: Wenn man einen Arzt zehn Röntgenbilder analysieren lässt und ihm ein paar Tage später die gleichen Bilder gibt, aber in einer anderen Reihenfolge, kommt er in etwa 20 Prozent der Fälle zu einer anderen Diagnose. Das ist ziemlich beängstigend. Bei einem Ärzte-Team würden die Chancen auf eine richtige Diagnose deutlich steigen."

Dass die Weisheit der Massen ihre Grenzen hat, räumt auch Surowiecki ein.

Den größten praktischen Nutzen seiner Theorie sieht Surowiecki für Wirtschaft und Politik. Unternehmen könnten viel erfolgreicher sein, wenn sie nicht allein auf die Weisheit ihrer Chefs vertrauen würden, sondern das kollektive Wissen ihrer Angestellten nutzen würden. Teamarbeit, bei der nicht Kompromisse gefragt sind, sondern die ehrliche Meinung des Einzelnen: "Ich meine wirklich eine Gruppe, in der jeder einzelne sein bestes gibt, um ein Problem zu lösen", sagt Surowiecki. "Die jeweiligen Vorschläge müssen dann ausgewertet und zu einer Einzel-Lösung zusammengefasst werden. Der Schlüssel dazu ist: Die Leute müssen unterschiedliche Meinungen haben und wirklich unabhängig voneinander sein. Diese Bedingung ist am schwersten zu erfüllen."

Surowiecki hofft, "dass das Buch dazu beiträgt, dass wir weniger Zeit mit der Suche nach heroischen, visionären Einzelhelden verschwenden. Dass wir begreifen, dass wir unter den richtigen Bedingungen, und die herrschen öfter als viele glauben, wirklich die Intelligenz von ganz normalen Leuten in Organisationen und Unternehmen "anzapfen" können."Die Weisheit der Massen" ist ein Buch nicht ohne Schwächen. Doch Surowiecki zeigt mit vielen faszinierenden Beispielen, dass wir zusammen weitaus cleverer sind, als bislang vermutet, auch wenn die Topverdiener in den Chefetagen das sicherlich nicht gerne hören.


Wobei ich eine Überlegung interessant fände, ab wann im obigen Sinne unterschiedliche und unabhängige Menschen, als Mitglieder einer Gruppe oder als Einzelkämpfer betrachtet werden. Auf diverse Art und Weise ist ja auch ein Einzelkämpfer Mitglied - mehr oder weniger real oder virtuell - einer oder mehrerer Gruppen. Nur eben auffallend unabhängig.

Schon damals in der Schule im Biologie-Leistungskurs hat mich der Teilbereich Verhaltensbiologie sehr fasziniert. Quasi eine Vorstufe zur oder eine archaische Schnittmenge mit der Psychologie.

Der ganze Kulturzeit-Artikel auf 3sat: http://www.3sat.de/SCRIPTS/print.php?url=/kulturzeit/lesezeit/70732/index.html