Mittwoch, Oktober 01, 2003

Besserwisser
sind oft nur lästig, können aber auch potentiell gefährlich sein, wenn Gesundheit oder Leben anderer von ihnen abhängen.

Dazu folgende perönliche Begebenheit vom Anfang der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts:
Ich kam grade aus der Stadt, wo ich mich mit meiner Oma getroffen und wir im K*stadt-Restaurant was gegessen hatten. Wieder bei mir zu Hause setzte ich Wasser für einen Tee auf. Meine Schwester wollte mich gleich besuchen. Irgendwie fühlte ich mich aber nicht gut, mir ging es immer schlechter und ich wusste nicht warum. Mal beugte ich mich über die Kloschüssel, ohne jedoch erbrechen zu können, dann breitete ich mich auf dem Teppichboden aus, fand aber keine dauerhaft erträgliche Liegeposition. Schliesslich erschien meine Schwester, guckte sich meinen Zustand an und rief den Notarzt. Als der Typ reinkommt, sieht er die Teekanne auf dem Fussboden stehen (Wie bei den Beduinen auf einer Decke auf dem Teppich) und mich ebenfalls auf dem Teppich und sagt gleich sowas wie "Aha, kann mir vorstellen, was für einen Tee Sie getrunken haben". Ich fühlte mich zu schwach, um zu widersprechen, aber als er zwei Spritzen aufzog, hatte ich nur noch gedacht, der injiziert mir hoffentlich keine Medikamente, die exakt auf seiner falschen Unterstellung/Diagnose basieren und darum womöglich gefährlich sind. Aber es ging zum Glück gut, die Medikamente schlugen schnell an und mir ging es bald besser. Meine spätere Vermutung war, dass ich eine leichte Lebensmittelvergiftung hatte.

Ich weiss nicht, ob und was beim Notarzt danach noch intern gelaufen ist und was heute diesbezüglich so geht. Denkbar wäre, dass er für diesen Einsatz auch sowas wie eine Patientenakte anlegt oder in irgendwo schon bestehende Dateien seinen Eintrag macht. Beispielsweise könnte er online eine Datei aufrufen, die vielleicht zentral an der örtlichen Uniklinik angelegt ist und einen Eintrag über seinen Einsatz machen. Darin steht dann womöglich, er musste einen Notfalleinsatz fahren mit Verdacht auf Drogenmissbrauch. Von solchem Unsinn erfährt der betroffene Bürger - in dem Fall ich - nichts und kann es also auch nicht korrigieren lassen. Jeder Arzt kann mehr oder weniger üblen Mist über seine Patienten in seinen Akten vermerken, ohne dass der Betroffene sich dagegen wehren könnte. Solche Akten und Eintragungen waren immer schon brisant und werden es zukünftig noch mehr, wenn nämlich alle diese Äusserungen bald nicht mehr in unleserlicher Handschrift im Aktenschrank der vielen Ärzte verschwinden, sondern im Zuge der Patienten-eCard zentral und gut lesbar in einer einzigen Datei oder auf einem Server abgelegt werden!

Ein anderer Fall waren einige Arzt-Patient-Kontakte beim Lungenfacharzt, noch gar nicht so allzulange her. Als ich dem Arzt einmal Symptome schilderte, die ich selbst ziemlich Besorgnis erregend fand, blieb er distanziert und wiegelte ab. Sicherlich gibt es Dinge, die ein Patient dramatischer sieht, als sie vielleicht objektiv sind. Genauso wie es auch umgekehrt sein kann, dass der Patient eine ziemlich realistische Selbsteinschätzung von sich hat und der Arzt die Probleme nicht ernst genug nimmt und kleinredet. Für mich war das seinerzeit der Knackpunkt.

Wenn ein Arzt meine Probleme, die ich für schwerwiegend halte, abtut und zwar ohne eine überzeugende Begründung, dann fühle ich mich bei so einem Arzt fehl am Platz. Ich bat den Arzt - für mich zum Abschluss - um Einblick in meine Patientenakte und um Kopien. Er lehnte das ab, mit Hinweis auf seine persönlichen Bemerkungen darin, auf die ich kein Recht hätte. Ich sagte, er könne diese Sachen gerne abdecken, aber ich hätte ein Recht auf Kopien und wenigstens den Einblick möchte ich sofort wahrnehmen. Nach einigem Theater bekam ich nach einiger Wartezeit die Akte kurz zu sehen. Zu meiner Überraschung gab es keinerlei Einträge über die Schilderung meiner bedenklichen Krankheitssymptome - egal wie der Arzt sie letztlich interpretiert, sie müssen doch aber wenigstens in meiner Akte vermerkt sein. Hingegen befanden sich Anmerkungen dort, die nichts mit meinen Lungenproblemen zu tun hatten.

Als Patient hat man nicht nur das Problem, dass Ärzte in der Patientenakte persönliche Anmerkungen machen dürfen, die man als Betroffener nicht einsehen darf, die aber womöglich an Arzt-Kollegen weitervermitteln werden, sondern auch sachliche Anmerkungen haben womöglich mit der Krankheit und dem Status als Patient nichts zu tun und erfassen persönliche Dinge, die über das Arzt-Patient-Verhältnis hinausgehen. Es können aber auch wichtige Dinge regelrecht unterschlagen, weggelassen werden, ohne dass der betroffene Patient dies ändern könnte, wenn er denn überhaupt davon erfährt. Es werden in solchen Akten also Zerrbilder produziert, über ganz elementare Lebensumstände und Persönlichkeitsmerkmale von Menschen, Bürgern, Patienten, die von den Betroffenen selbst aber nicht korrigiert werden können.
Darum fordern etliche Fechter für ein modernes, demokratisches, transparentes und patientenzentriertes Medizinwesen schon lange ein Recht der Patienten auf Korrektur ihrer Akten, so wie es auch diese Petition tut.

Wäre mir im o.g. Fall wegen nicht stattgefundener Therapie etwas Schlimmes passiert, dann wäre der Arzt, trotz seiner unterlassenen Hilfe, nie belangt worden, weil es in seinen Unterlagen keine Hinweise auf gesundheitliche Probleme gibt, die ihm bekannt waren, so wie ich sie ihm geschildert hatte.

Es müsste mE ein Recht der Patienten geben, auf Korrektur ihrer Akten, egal ob dann Dinge gelöscht oder Daten hinzugefügt werden müssten. Denn wenn in Kürze die elektronische PatientenCard eingeführt wird und sämtliche Patientendaten zentral gesammelt und für Medizin-Insider, Hacker, Kracker, Datenjäger und -sammler global verfügbar auf einem Internet-Server abgelegt werden, könnten sich die aktuell noch vorherschenden Schlampereien oder auch Böswilligkeiten etlicher Ärzte beim Führen ihrer Dokumente, für Patienten übel auswirken. Tut es bereits jetzt schon.

Mit der kommenden Patienten- resp. Gesundheits-eCard werden gleich zwei, bisher noch vorhandene, "Filter" beseitigt: Die berühmt-berüchtigte, oft unlesbare Arzthandschrift hat oft verhindert, dass andere als der jeweilige Arzt die Patientenakte lesen konnten.
Patienten sind meist bei mehreren verschiedenen Ärzten und wechseln manchmal sogar den Arzt des selben Fachgebiets - sowieso bei einem Ortswechsel. Wollten sich Dritte einen Überblick über die Krankengeschichte eines Menschen verschaffen, so mussten sie erstens in Erfahrung bringen, bei welchen Ärzten dieser Mensch in Behandlung war und sie hatten zweitens jeden einzelnen Arzt aufsuchen und irgendwie die unleserliche Handschrift decodieren müssen, um an die Informationen heran zu kommen. Diese Filter oder Sperren fallen bald weg.

Die Patientenakten werden am Computer geschrieben, sind also gut lesbar und sie werden zentral auf einem Server abgelegt - man muss nur noch Zugriff auf den bekommen.