Dienstag, Juni 21, 2005

Weltgewaltordnung
Der Verfassungsrechtler Erhard Denninger beklagt, dass sich Recht und Gewalt immer weiter voneinander entfernten.
Werfen wir zum Schluss einen Blick auf das Problem der "akustischen Wohnraumüberwachung", vulgo des "großen Lauschangriffs". Die Frage liegt nahe, was eine jedenfalls physisch schmerzlose Maßnahme, von der der Betroffene in aller Regel nicht einmal etwas erfährt und wenn, dann höchstens viel später, - was eine solche Maßnahme in einer Reihe mit Eingriffen wie Sicherungsverwahrung, Freiheitsstrafe oder gar Folterung zu suchen habe.

Die Klammer ist der Angriff auf die Autonomie der Person, welche die "Unverletzlichkeit" der Privatwohnung als "letztes Refugium" zur unbeobachteten und ungestörten "höchstpersönlichen Lebensgestaltung" erfordert. Es gilt den Schutz vor der schleichenden, allmählichen Realisierung der George Orwell'schen Vision "1984". Das Bundesverfassungsgericht erkennt deshalb den absoluten Schutz eines Kernbereichs privater Lebensgestaltung an, der auch nicht durch Abwägung mit den Strafverfolgungsinteressen des Staates nach Verhältnismäßigkeitsgrundsätzen relativiert werden dürfe, auch nicht gegenüber "Formen von besonders gravierender Kriminalität und entsprechenden Verdachtssituationen." Dies scheint zunächst ganz auf der Linie des absoluten Folterverbotes zu liegen, auf der Linie des Rechts, das dem unbeschränkten Zugriff der Staatsgewalt an einer äußersten Grenze absoluten Einhalt gebietet. Die genauere Betrachtung der praktischen Umsetzung des Schutzgedankens zeigt jedoch auch hier seine Relativierung im Rahmen eines instrumentellen Rechtsnormverständnisses. Denn nicht der Wohnraum als solcher soll absoluten Schutz genießen, sondern nur ein bestimmtes Verhalten der Menschen in jenem. Also soll man aus Gründen der "Verbrechensbekämpfung", repressiv oder präventiv, akustisch (oder videoelektronisch) in die Wohnung doch eindringen dürfen, so lange man dort nicht auf Verhaltensweisen stößt, die dem absolut geschützten Kernbereich zuzurechnen sind. Diese Einschränkung trägt aber nicht dazu bei, dass der Einzelne sich in seinem ‚letzten Refugium' wirklich "sicher" fühlen kann.