Dienstag, August 31, 2004

Fragwürdig:

"Die Vernachlässigung des Sozialen und eine Überbetonung des Biologischen im Medizinstudium dürften Gründe dafür gewesen sein, dass Ärzte sich mehr als andere zur NSDAP hingezogen fühlten." Sagt heute ein ehemaliger Arzt der Nazizeit.

Aber: Sophie Scholl, die bekannteste und eine heftige Widerständlerin gegen das Nazi-Regime, war Studentin der Biologie, war also mit einer vergleichsweise hohen "Dosis" damaliger "Biologie" konfrontiert.

Und: Das "Soziale" steckt doch sehr betont im Namen "NationalSozialisten" und war auch dienlich für das Bild vom "gesunden Volkskörper".

"Wer hier nach Antworten sucht, erfährt rasch, dass er sich auch 60, 70 Jahre danach in einer Tabuzone bewegt."

Es scheint mir nicht "das Soziale" zu sein, dass vor den Ungeheuerlichkeiten einer Nazi-Ideologie schützt/e, sondern im Gegenteil der Respekt vor dem Menschen als Individuum.

Im Sozialen steckt auch wieder etwas Erstickendes, Unterdrückerisches, wie Formulierungen zeigen, vom "sozialverträglichen Früh-Ableben" oder jemand sei "sozial-inkompatibel" oder "a-sozial", was seinerzeit staatlich bestellter oder gedeckter Mord bedeuten konnte, mit Ärzten als Ausführende ...

Mir scheint, es kommt darauf an, aus welcher Wahrnehmungsrichtung man sich der Realität einer Gesellschaft nähert: Von der Masse als Basis her, den möglichen Wert des Einzelmenschen partiell wahrnehmend und akzeptierend - aber immer von seiner Einbindung und Nützlichkeit für die Gesellschaft als Maszstab ausgehend.
Oder immer erst den Einzelmenschen sehend, der mit vielen anderen Individuen zusammen eine Gesellschaft bildet. Also quasi die Gesellschaft als zu regelnder Überbau des Individuums, als das eine Bild, und das andere wäre die Gruppe, die Masse, die Gesellschaft als NutzHerde, die manche für sich vernsuchen zu nutzen und wo der Einzelmensch sich diesem Nutzwert unterordnen muss - ansonsten wird er untergeordnet oder aussortiert und isoliert.

Die beiden zitierten Sätze sind von www.freitag.de vom 21.11.2003